Hopeless in Hope

Tag 12: Ruhetag in Hope

Oh, welch´ herrliches Gefühl! Ich liege in meinem Queen-Size-Bett, der Wecker klingelt um 5 Uhr, ich denke kurz "Kacke!", wache auf und realisiere im selben Moment, dass ich ja heute frei habe, nicht aufstehen muss, schalte mein Handy ab und lege mich wieder hin, drehe mich um, mümmel mich ein und schlafe weg mit dem Gedanken, dass ich noch mindestens zweieinhalb, wenn nicht drei Stunden träumen kann ... großartig!

Irgendwan nach Acht stehe ich auf, denn heute ist mein großer Tag - Segelfliegen in den Rockies! Um zehn Uhr ist das Pilot´s Briefing angesetzt und da will ich pünktlich erscheinen. Also kann ich es kaum erwarten, drehe mich die letzte Viertelstunde nur unruhig im Bett hin und her und freue mich wie ein Flitzebogen auf den Flug.


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Lautlos, nur vom Wind getragen, in einem schwanenweißen, schwanengleichen Segelflugzeug, wir erheben uns über die Gipfel der Rockies, hoch oben, weit weg, über den Anstiegen, den Abfahrten, den tiefen, wilden Schluchten - und ich mache Fotos vom Coquihalla-Passe (vielleicht können wir da ja auch hinfliegen?) und vielleicht kann ich von da oben ja auch das Etappenziel für morgen sehen: Vancouver. Und irgendwann, hoffentlich viele Stunden später, landen wir sicher und wohlbehalten auf dem Aiport in Hope. Toll. Großartig! Ich bin gespannt, Freude braut sich im Magen zusammen.

Ich mache eine energetische Rolle rückwärts, springe aus dem Bett, stürme zum Fenster, ziehe die Vorhänge beiseite und ... es regnet! Scheiße! Scheiße! Scheiße!

Tja, denke ich mir sogleich, irgendwie passt das ja auch in die lange Liste der verpatzten Ruhetage: Wildwater-Rafting in Revelstoke, ertrunken im Strudel der Wirtschaftskrise, und nun auch noch das lustig-luftige Abenteuer über den Rockies, ertrunken im Regengewimmel.

Aber - auch das denke ich mir - Schwein gehabt, Speedmaschinist! Denn so, wie es heute da draußen herunter kommt, wäre die Coquihalla-Pass-Abfahrt, müsste ich sie heute machen, der absolute Horror!

Der Ärger ist schnell verflogen - denn die Mini-mini-mini Kaffeemaschine liefert "lecker" "Kaffee" zum Aufstehen.

Und so gräme ich mich nicht lange, stehe halt auf und denke mir, dass ich dann eben das Beste aus dem Tag machen werde, und starte erst einmal mit dem Kaffee. Bisher in jedem Hotel- oder Motelzimmer angetroffen, die Mini-mini-mini-Kaffeemaschine.

Diese wird in den Internetsites als "Fre Coffee" angepriesen und verfügt meist über zwei, in riesige Tüten verpackte Kaffe-Füllungen. Ähnlich wie bei meinem Senseo zu Hause, muss man diese Riesenpads nur einlegen, Wasser einfüllen und schon hat man keine 5 Minuten später einen ... naja ... Kaffee.
Zuckertütchen und Weißer hinein. Ah, genießen ... ist was anderes, aber dafür ist er heiß und lässt wenigstens die Bohne Kolumbiens erahnen.

Tja, denke ich mir da, was machst du nun also? Ich schaue noch einmal aus dem Fenster - sehe den Berg, der direkt hinter meinem Motel steil aufragt, nicht einmal bis zu einem Drittel, so tief hängen die Regenwolken. Keine Chance auf einen Flug. Selbst wenn die Jungs aufsteigen - was sie nicht tun, denn Dave, der Airboss von Hope emailte mir, dass, sollten tiefe Wolken, starke Winde oder Regen sein, kein Flug stattfinden würde und ich zu Hause bleiben könne.

Und selbst wenn sie fliegen: Wozu? Man sieht doch eh nix. Und mir Wolken anschauen, das kann ich auch noch auf dem zehnstündigen Heimflug von Seattle genug.
Ich seufze und frühstücke erst einmal.

Der Flatscreen - ein wunderbares Teil! - surrt und bereits früh morgens werden "Two and a Half Men" und andere Comedy-Kracher gesendet. Und während ich da so liege und die gestern im Supermarkt gegenüber erstandenen Leckereien wie Bagels, Wurst, Früchte, Joghurt und meinen So-called-Coffee trinke, mache ich es mir gemütlich und beginne, mich mit dem Tag zu arrangieren.

Warum? Warum ich nicht enttäuscht bin? Meine Waden geben die Antwort - über 10.000 Höhenmeter stecken in ihnen, fast 1.000 Kilometer noch dazu. Sie freuen sich. Sie freuen sich, dass sie heute mal einfach nur so herumliegen dürfen. Ihnen kommt der Regen ganz Recht.

Selbst ist die Hausfrau: Großwäsche in der Badewanne. Muss auch sein.

Und so lasse ich in die Badewanne etwas Wasser ein, drücke den letzten Rest aus meiner Rei-Tube aus und mache mich erst einmal daran, ein fröhliches Liedchen pfeifend, meine Klamotten zu bürsten.

Das Wasser, es verfärbt sich schnell in ein unappetitliches Braun. Und ich danke es der chemischen Industrie, dass sie dieses Waschmittel mit allerlei starken Geruchsstoffen versehen haben, denn den echten, den wahren - meinen - Geruch, möchte ich jetzt nicht gern in der Nase haben.

Der Staub von Tagen auf dem Highway, der Schweiß von Stunden in der Sonne, all das wasche ich hinaus, drücke und wringe, massiere und knete, bis ich die Klamotten mit kaltem Wasser spüle und in meinem Zimmer vor die diversen Fenster hänge, deren steter Luftstrom (es ist trotz des Regens warm und schwül in Hope) wie ein Trocker fungiert.

Dann wage ich mich vor die Tür: Hope entdecken.


Liegt da im Regen - das Best Western Heritage Inn, mein Zimmer ganz hinten unten. Nett hier.

Ich ziehe mich an, rüste mich mit Kamera und Regenklamotten aus und trete vor die Tür. Direkt am Hotel führt der Zubringer zum Highway entlang, den überquere ich und stehe wieder vor meinem Supermarkt - den ich mir vornehme, heute Nachmittag noch einmal zu besuchen, um mir Abendessen, Frühstück und Proviant für die morgige Etappe zu holen.

Doch zunächst einmal mache ich mich daran, Hope zu erkunden. Ich laufe los.

Und bin eine Stunde später, leicht durchnässt, leicht genervt, wieder hier.

Komisch, denke ich, wie Revelstoke: Nichts, aber auch gar nichts zu sehen. Kein richtiges Zentrum, kein Mittelpunkt, keine Sehenswürdigkeiten, nichts. Nur ein kleines, verschlafenes Nest am Fuße der Rockies.

Also gut, denke ich, und kaufe ein. Denn das, das kann man hier ganz gut.

Man muss sich auch mal was gönnen - gar nicht so Cycling-affines Essen. Urlaub muss sein.

So mache ich mich bereit für einen langen, langen Fernsehabend, den ich mir mit dem Auffüllen meiner Salzdepots (Jalapeno-Chips) und meiner Protein-Vorräte (Maccheroni-and-Cheese) versüßen werde, garniert mit einer Monsterportion Vitamine (Fruit-Salad, Banane und Äpfel) sowie etwas für meine Kohlenhydrat-Reserven tun möchte (Bagels an mass mit Cole-Slaw).

Naja, zugegeben, diese Fress-Orgie habe ich mir eigetlich vollkommen wahllos zusammen gestellt, einfach, weil ich Hunger hatte, einfach, weil ich mir dachte - Mensch, mach mal Urlaub!

Aber schön, denke ich, wenn man selbst dem ungesundesten Zeugs, wenigstens für sich selbst, noch etwas Gutes abgewinnen kann.



Reifen-Maniküre - die Marathon-Racer sind super! Am ganzen Rad scheint die Tour ohne Spuren vorbei zu gehen.

Satt und zufrieden mache ich mich noch daran, mit der guten Nagelschere die kleinen Steinchen aus meinen Reifen zu puhlen, das Rad etwas zu putzen und auf die morgige - längste - Etappe vorzubereiten.

Und muss staunen: Wieder einmal beweisen sich die Schwalbe Marathon Racer als die besten Reifen, die ich jemals gefahren habe. Denn man stelle sich vor, dass ich täglich rund 130 Kilometer auf einem Schotter- und Rollsplit-übersäten Seitenstreifen rolle, schwer beladen und teilweise heftig bremsend, und alles, was diese Mäntel abbekommen, sind drei, vier kleine Kieselchen, die es geschafft haben, sich im Gummi einzunisten.

Vier kleine Kiesel! Auf eintausend Kilometer! Alle Achtung, denke ich, putze noch den Staub vom Rahmen und staune über diese Qualität. Und auch alles andere - Schaltung (Rohloff Speedhub), Bremsen (Magura, hydraulisch) und Dinge, die sich gern und schnell mal verabschieden wie die Speichen - alles in Top-Zustand. Alles sauber, fest und glänzend, als habe ich dieses Liegerad erst gestern ausgeliefert bekommen.

Toll! Tolles Rad, denke ich, packe meine Klamotten zusammen, mache alles klar für morgen und schiebe die Maccheroni in die Mirowelle: Mein TV-Abend kann beginnen.

Ich denke oft an morgen. An die längste Etappe der Reise - Vancouver, 160 Kilometer. Wird es regnen? Wird es weh tun? Ah, die "Simpsons" beginnen ...

Was ich erst später, in Seattle erfahren werde: Hier in Hope war es, wo John Rambo seine ersten Abenteuer erlebt hat. Hier wurde der Film gedreht, hier war es, wo alles begann. Und, so erfahre ich auch - es gäbe hier einen Typen, der in Rambo-Kostüm eine Wanderung anbietet, bis hoch in die Berge, zu den Originalschauplätzen des Filmes: Die Höhle, die Tankstelle, der Helikopter - alles noch zu sehen.


Mist, denke ich rückblickend - denn das hätte sogar noch im Regen Spaß gemacht!