The yodeling Sausage

Tag 2: Calgary

Der Schlaf kommt langsam. Fast scheint es, als wolle mein Körper keine Ruhe geben: Raus, raus aufs Bike! Jede Faser in mir scheint zu zucken, nervös, gespannt, voller Erwartung ob der Berge, der Rockies. R-o-c-k-i-e-s. Wie zauberhaft das klingt!

Unruhig wälze ich mich hin und her, nass das Bettzeug, ich schwitze, schwacher Schimmer vom Parkplatzlicht dringt zwischen eine kleine Spalte durch die dicken Vorhänge. Ich kann nicht aufhören, nicht zu denken. Irgendwann ist es aber gut. Ich schlafe ein. Schnell, ohne dass ich es merke. Bin weg. Drüben, andere Seite. Ich wandle in der Traumzeit.

2 Uhr - Ich wache auf. Toll: Jet-Lag! Da ist er also. Ach schön, denke ich, schlage die Augen auf und liege da. Draußen surren sinnlos Klimaanlagen, machen es in den Zimmern schön kalt, zerstören selbiges draußen vor der Tür.

4 Uhr - In zweieinhalb Stunden gibt es Frühstück. Na super, jetzt bekomme ich auch noch Hunger!

5 Uhr - Zuhause ist schon der halbe Tag gelaufen, der hier noch nicht einmal richtig begonnen hat. Zuhause. Ich denke nicht einmal daran, an den Job zu denken!

6 Uhr - Ob in der Agentur jetzt die Hölle los ist? Hoffentlich sind meine Job-Briefings so gut, dass sie damit klar kommen? Ach ja ... ich wollte doch schlafen.

7 Uhr - Ich stehe unter der Dusche.

Heute ist der "Tag der Logistik". Ein freier Tag zwar, aber dennoch gibt es Einiges zu tun: Zunächst muss ich meinen Riesenkarton wieder kleinstmöglich verpacken, sichern und eine Post finden, wo ich das Monstrum nach Seattle verschicken kann. Immerhin muss mein Liegerad im 40-Euro-Karton auch noch den Rückflug bestreiten.

Zudem brauche ich noch PowerGels und einige andere Dinge für den Trip. Und Calgary, die olympische Stadt, will auch angeschaut werden.

So beginne ich mit der Paket-Aktion. Erfahrungsgemäß ist dies der lustigste Teil des ganzen, das war in Portugal schon ein großer Spaß. In Calgary umso mehr, denn mein Motel befindet sich alles andere als im Zentrum - an der Rezeption weist man mir den Weg entlang des Trans Canada-Highway, der hier die Stadt durchquert, etwa 2 Kilometer weit entfernt. Klingt nicht viel, ist es auch nicht - es sei denn, man schleppt 10 Kilo unhandlicher Pappe mit sich herum.

Wird mich 3 Wochen lang begleiten - und sieht hier schon groß aus - der Trans Canada Highway.

Es sieht kalt aus in der Stadt, also habe ich Jacke und Pullover an. Nach 500 Metern bereue ich dies - die Sonne knallt und schnell bricht der Schweiß aus. Dieser wird nicht weniger, als mir die Postbeamte errechnet, dass mein Paket stolze 377 Dollar kosten würde.

Ich denke, mich zu verhören, also frage ich nach: Die Canadian Post will tatsächlich 245 Euro habe, um 10 Kilogramm Pappe zu versenden??? Nein, die 10 Kilo seien nicht das Problem, meint sie, sondern die Größe.
Die Größe? Um wieviel ist es denn zu groß? Nur so, interessenshalber.

Sie misst noch einmal nach. Umständliche, große Bewegungen mit einem großen Maßband. Die zwei anderen Kunden in der Schlange hinter mir beobachten dies ebenfalls mit großem Interesse. Sie misst, Lääääääänge. Hööööööööööhe. Und die Breite. Dann schaut sie nach. Rechnet noch einmal.

"One Centimeter." sagt sie. Die beiden hinter mir müssen lachen.

Ob das jetzt ihr Ernst sei, frage ich. Man könne doch nicht wegen 1 cm 380 Dollar verlangen. Denn wäre es kleiner, errechnet sie, Würde es nur noch 100 Dollar kosten.

Nein, das könne Sie nicht. "I can´t do anythink that I know is wrong." sagt sie. Anscheinend, so beschließe ich, ist der Urvater der Kanadischen Post ein Auswanderer aus Deutschland gewesen. Denn so eine Krümelkackerei kann nur deutschen Ursprungs sein.
Einer hinter mir gibt mir den Tipp, es mit FedEx zu versuchen, dies sei nur 4 Blocks den Highway runter.

Ich danke und gehe. 30 Minuten später und nun vollends nass erreiche ich den Shop. Auch hier eine Orgie aus Messband, Waage und Nachschlagerei.
"Ah, you are shipping Cardboard." sagt der Typ trocken. Na, Humor haben sie hier wenigstens. Aber nach einiger Rechnerei - sogar online - steht hier am Ende sogar eine 5 vor den beiden anderen Ziffern - 522 Dollar wären es mit FedEx. Aber dann, so sagt er, wäre das Paket auch morgen da.

Morgen? In 3 Wochen reicht doch, entgegne ich, und übespiele damit den Schock, hier 260 Euro bezahlen zu müssen.
"Three weeks? Why don´t you try it ad FedEx Gound?" fragt er, als ob ich ein bisschen dumm im Kopf wäre. Ah, Ground. Also das langsame FedEx. Wo das sei? 20 Minuten von hier.

Ich stapfe los. Und langsam wird mir klar, dass er mit "20 Minuten" eigentlich "20 Minuten im Auto" gemeint haben muss, denn ich schleppe die Kiste mindestens eine weitere Stunde entlang des nun sehr viel befahrenen Highways entlang, ehe ich einen kleinen privaten Courier-Shop mit dem grünen FedEx Ground-Logo sehe.

Die freundliche Dame - versucht Deutsch Hallo zu sagen - berechnet dann auch nur humane 80 Dollar für meinen Haufen Pappe, die ich freudig berappe und glücklich vor die Tür trete. Ich sonne mich etwas im Herannahenden Mittag und erkenne freudig, dass meine Wanderung mich näher ans Zentrum gebracht hat. Na, wenigstens was - denke ich, und marschiere auf die Wolkenkratzer zu.

Die Prairies spiegeln sich in den glatten Glasfassaden - Downtown Calgary ist auch eine riesige Wolkenkratzer-Baustelle.

Ich durchquere das "Manhattan" von Calgary, kehre dann um und spaziere zunächst am Bow River entlang, der hier, eingebetten in einen schicken Park, in einem kleinen Canyon am Geschäfts-, Banken- und Hotelviertel Calgarys fließt. Eine Oase der Ruhe. Angenehm, sauber. Grüner Rasen, viele Spaziergänger, einige sehr alte Asiaten machen Qui-Gong auf dem Rasen, eine Staffel Fahrrad-Cops mit martialischer Biker-Uniform und brachialen Mountainbikes rauscht auf laut brummenden Stollenreifen Streife tretend an mir vorbei.

Mein Magen knurrt, ohne wirklich großen Hunger zu versprühren. Und da ich nichts Großes essen mag, verschlägt es mich in ein stylisches, aber einladend aussehendes Café namens "The Good Earth". Green ist in. Da darf ich nicht fehlen.

So tun, als sei man kein Tourist. Ich mag nicht auffallen. Beim Latté-Schlürfen macht das Kanadier-Mimikry besonders Spaß.

Ich esse eines der besten Sandwiches, die ich jemals hatte - und das ist keine Übertreibung. Ganz hin- und hergerissen glaubt mir auch der freundliche Barmann, der sich bei allen Gästen erkundigt, ob es schmeckt, meinem überschwänglichen Lob nicht - obwohl es ernst gemeint ist. Wer einmal in Calgary weilen sollte, dem empfehle ich wirklich, 10 Kilo pappe 5 Kilometer am Highway entlang zu schleppen, um sich dann im "Good Earth" ein Pastrami-Sandwich zu genehmigen. Ein Traum!

Weiter geht es mit einem Large Latté - etwas doppelt so groß wie die XXL-Kaffees bei uns - in die Fußgängerzone der Innenstadt. Geschäftig, aber nicht hektisch, touristisch, aber mit hohem Bewohner-Anteil, schick gemacht, aber nicht konstruiert - einfach entspannt, so empfinde ich den Flow dieser Stadt.

Es sieht aus wie Manhattan, ist aber kleiner, ruhiger, ohne dabei proviziell zu sein. Und die eine oder andere Häuserschlucht kann dabei durchaus New Yorker Flair versprühen.

Netter, leichter Flow ohne übertriebenes Touri-Anbiedern: Calgary hat einen ruhigen, souveränen aber auch leicht provinziellen Charme.

So komme ich in einen extra abgesperrten Teil der Zone, wo neben den vielen Straßencafés und Restaurants (mittlerweile dürften es 20 Grad sein - warm also) eine Menge Imbissbuden und Street-Kitchens aufgemacht hatten.

Alles, was das weltoffene Schlemmerherz begehrt sollte hier befriedigt werden: Scharfes Thai-Food, französische Crépes, die obligatorischen Burger, sogar hawaiianische Fischspezialitäten werden hier optisch ansprechend, immer wieder unterbrochen von kleinen Bühnen, wo Bands zu lokalen Klängen mehr oder weniger Exotisches spielten, dargeboten.

Ich schlendere - und traue meinen Augen nicht: Vor mir beginnt eine Schlange. 100, 200 Menschen stehen hier an. Ich folge der Schlange mit den Augen zu ihrem Anfang. Nach was stehen die hier an? Was gibt es hier Leckeres? Was kann noch verführerischer sein, als frische Crépes, scharfes Pad-Gai oder meinethalben auch ein saftiger Angus-Burger?

Da höre ich es.
Umta-umta-umta. Volksmusik. Ich erkenne die Farben meines Landes. Schwarz Rot Gold. Ein kleiner Imbisswagen. Sie alle stehen hier an. Bratwurst, Currywurst & Co.

The yodeling Sausage. Ohne Worte.

Sie lieben einfach die Deutschen. Autobahn. BMW. Und Bratwurst.

Ich gebe zu, dass keine Heimatgefühle aufkommen. Aber, irgendwie freue ich mich. Ich mache schnell ein Foto und sehe zu, dass ich weg komme. Nein, denke ich mir, du bist nicht 20 Stunden um die Welt geflogen, um dir jetzt eine Bratwurst mit Senf reinzuziehen!


Ich komme am Calgary Tower vorbei, der auf Bildern immer viel größer wirkt, als in echt, klappere ein, zwei Outdoor-Shops auf der Suche nach einem Bike-Spezialisten ab und bekomme endlich einen Tipp.

Besagten Rennrad-Laden finde ich etwas außerhalb von Downtown, fühle mich aber gleich in der netten Atmosphäre zwischen edlen Carbonrennern und schicken Trikots wohl. PowerBar-Gels haben sie hier zwar nicht, dafür aber Gels einer anderen Firma. "Stinger-Gel" auf natürlicher Honigbasis. Klingt nett. Ich kaufe 15 Stück. Für jede Etappe eines und zur Sicherheit noch ein paar.

Dazu ein paar PowerBar Riegelchen und noch ein Pulverfässchen um mir meinen Power-Drink zu mischen. Und schion bin ich wieder 150 Dollar los. Mit VISA zahlen, das merke ich jetzt, macht Spaß. Die Rechnung ... sie kommt ja erst später.

Doping legal: Mineralien en mass und eine Menge Honig-Gel.

Dann mache ich mich wieder auf den Weg zurück ins Motel. Ich habe beschlossen, in Banff anzurufen und zu fragen, ob ich schon morgen kommen kann. Calgary ist nett. Aber mehr auch nicht. Irgendwie ist mir das hier alles nicht "Kanada genug" - klar, ich habe Berge im Sinn, ich habe Wald im Sinn.

Ich mag Großstädte, ich liebe New York, Berlin - aber ich bin hergekommen, um Natur zu sehen.

Und so schlendere ich - wieder sehr schwitzend - durch das in Nachmittagsfaulheit versinkende Calgary, erklimme einen kleinen Berg inmitten eines Parks, von wo aus ich noch einmal die Sicht auf Downtown genieße - und dann mache ich mich in Gedanken schon daran, eine Einkaufsliste im Kopf anzulegen - denn morgen würde ich unterwegs Einiges an Verpflegung und Getränken brauchen.


Im Safeway-Supermarkt, der wirklich in allen Belangen "super" ist, muss ich erst einige hundert Meter laufen, um überhaupt zu den Körben zu kommen. Endlich einen unter Kontrolle, schiebe ich durch die mich an kafkaeske Alpträume erinnernde, scheinbar nicht enden wollende Gänge und suche nach Obst (Bananen), Müsli (Riegel), Getränken (Saft & Wasser) usw..

Da steht plötzlich aus dem Nichts eine knorpelige Alte Dame vor meinem Rollkorb. Ich kann gerade noch bremsen. Ihr Mann, genau hinter ihr um die Ecke schießend, hält sie am Arm und sagt ihn knächzendem Kölsch: "Pass op! Dr´Jeck rennt disch übern Haufen!".

The yodeling Sausage, denke ich nur, grinse auf Englisch und fahre weiter. Wann treffe ich endlich mal Kanadier?

Eine Stunde später bin ich zurück in meinem Motel-Zimmer, nachdem ich unter den mitleidsvollen Blicken der Autofahrer zwei volle Einkaufstüten geschleppt habe. Laufen, das kennt man hier nicht. Das fällt auf, da schaut man hin. In Portugal noch bin ich aufgefallen, weil ich Liegerad gefahren bin. Hier, hier reicht es schon, einfach per Bein unterwegs zu sein.

Die müssen mich hier schon für einen wirklich extravaganten Vogel halten!

Banff sagt "Ja" zu meiner Anfrage, und so packe ich meine Klamotten, mache alles klar für meine morgige, erste Etappe und mische meinen ersten Power-Drink, als das Telefon klingelt. Es ist Pareen, General Manager vom Motel. Mit ihr hatte ich von Deutschland aus gemailt.

Sie lädt mich ein, zur Rezeption zu kommen. Dort begrüßt sie mich so herzlich, als sei ich ein Staatsgast und bedauert, dass sie mich nicht zum Dinner einladen kann, weil ihr Sohn krank geworden sei - aber als Ausgleich habe sie mir ein Paket vorbereitet. Völlig verdutzt nehme ich es entgegen. Wir schnacken noch eine Runde, dann verabschieden wir uns. Alles Gute, wünscht sie mir, und versichert mir, dass ich bei Super 8 jederzeit und gern wieder willkommen sei. Das geht runter wie Öl.

Im Paket hat Pareen mir Super 8-T-Shirts, Bandanas, Aufkleber, eine massive Gold-Silber-Geldklammer und einiges anderes "Fan-Material" eingepackt. Mit dem ich freilich nicht viel anfangen kann, aber ich freue mich. Manchmal, so denke ich, muss es doch gar nicht so schlecht sein, Lance Armstrong zu heißen.

Dann gehe ich noch einmal vor die Tür, betreibe exzessives Carbo-Loading. Und obwohl ich weiß, dass ich morgen irgendwann unterwegs atemlos, völlig ausgepowert am Berg den nicht gegessenen Kohlehydraten nachtrauern werde - DIESE Riesenportion Penne kann ich einfach nicht aufessen! Und so verlasse ich den leckeren Italiener - nur 15 Minuten extravaganten Fußmarsch entfernt - und kehre satt und zufrieden gegen 21 Uhr zurück.

Duschen, noch ein bisschen TV schauen und dann mache ich das Licht aus. Ich hoffe, ruhig und ohne Jet-Lag, Agentur-Verantwortungsgewissensbisse oder komischer Träume von einer jodelnden Bratwurst in Ami-Farben einfach nur einzuschlafen, um morgen fit zu sein. Und genau in diesem Gedanken schlummere ich ein. Schnell. Augenblicklich.