Cryin´ in the rain

Tag 9: Salmon Arm - Kamloops

Ach, das war schön, gestern Abend, denke ich, als mein Handywecker mich unsanft aus einem Traum holt und der Tag über mir durch die Spalten meines Kellerfensters lugt. Ich strecke mich, recke mich - fühle in meine Muskeln hinein, versuche, den Beinen einen kleinen Statusbericht abzulocken - und alles ist auf GO!, keine Probleme. Ich fühle mich prima.

Aufstehen, waschen, klarmachen - oben in der Küche klappert Geschirr und als ich auf dem Weg ins Bad bin, kann ich Kaffee riechen. Herrlich.
Fünf Minuten später sitze ich in der Arbeitsmontur des Speedmaschinisten im Speisezimmer der Bryants am Tisch, Drew hat mir Kaffee eingegossen, fragt mich, wie ich meine Eier möchte und stellt einen frischen Obstsalat auf den Tisch, den ich mir sogleich mit großem Enthusiasmus mitsamt Müsli und Joghurt einverleibe.

Nach und nach trudeln auch Debbie und Marylin ein, sodass wir nun zu viert am Tisch sitzen. Das schöne Gespräch von gestern geht weiter und Drew kann gar nicht mehr aufhören, mich übers Liegeradfahren auszufragen. Ich rate ihm, es vielleicht bei seinem holländischen Freunde, dem Reverend, selbst einmal auszuprobieren. Er winkt ab und deutet auf seinen Rücken - und ich erspare mir die Qual eines Vortrages über die Qualitäten eines Liegerades bei orthopädischen Indikationen.

Debbie will sich mal bei mir reinlegen - und kommt nur mit Mühe wieder raus.

Gesättigt und voller Tatendrang verabschiede ich mich bei den Dreien, wobei sie es nicht versäumen wollen, mir bei der Abfahrt zuzusehen. Debbie fragt sogar, ob sie sich mal bei mir reinlegen könne - klar, mache ich und biete ihr den Pilotensitz an.
Zuerst etwas unsicher, leise kiechernd, dann sich der Bequemlichkeit bewusst werdend suhlt sie sich im Sitz des Rades und fast bekomme ich sie nicht mehr heraus. Als sie dann endlich den Steuersitz freimachen will, ist sie es, die fast nicht mehr heraus kommt. Ja, so eine Speemachine, denke ich mir, ist wahrlich kein Rad für Anfänger.

Wir verabschieden uns, ich bedanke mich bei den beiden Bryants für den schönen, familiären Aufenthalt im Hospital Heights B&B und winke zum Abschied, als ich das Liegerad auf die Straße und in den Ort steuere.

Über mir ziehen Wolken von den Bergen heran, es ist frisch, aber nicht kalt. Gestern habe ich das selbe in Revelstoke erlebt, also mache ich mir keine Sorgen und steuere das Rad durch Salmon Arm, zurück auf den Trans Canada Highway.

Zwei Schüler überqueren vor mir die Straße, ich habe rot also halte ich. Sie sehen mich, grinsen und grüßen und rufen: "Where are you going to?"
"Kamloops.", gebe ich zurück
"Thumbs up!", antworten sie und machen den Schumi-Daumen. Ich bedanke mich, die Ampel springt auf grün und so verlasse ich das kleine, nette Salmon Arm und steuere gleich mal auf meinen ersten Berg zu.

Verheißen nichts Gutes - Die Wolken machen die Rockies dunkel.

Ooops, denke ich, als ich gerade die Stadt verlasse und es über mir düster wird. Ich bin so auf den Himmel fixiert, überlege und überlege, dass ich nicht einmal mit bekomme, wie sich vor mir die Straße anhebt und ich immer mehr mit meinen Kurbeln im Asphalt stecken bleibe. Keine zehn Minuten unterwegs, und schon zwei Probleme am Hacken.

Die Steigung saugt mir das ganze schöne Frühstück aus den Beinen. Es geht so steil bergan, dass ich auf den Gehweg wechsle, denn der Verkehr ist heute morgen nicht ohne. Zunächst fahren wir auf eine ziemlich hohe Brücke, die die Marina von Salmon Arm mit dem großen Shuswap-Lake verbindet.

Hunderte klobiger Hausboote - die touristische Attraktion des Ortes, wie mir Drew erklärte - liegen dort vor Anker. Ich blicke hinaus uns sehe einige dieser würfelförmigen Wasserhäuser gemütlich über den See schippern. Auch ´ne nette Art, seinen Urlaub zu verbringen, denke ich.

Noch nervt nur die Steigung, die sich gleich hinter Salmon Arm um den Berg in einer ewig langen Linkskurve zieht.

Endlich habe ich den Berg fast bezwungen, die Steigung wird etwas freundlicher und ich kann - muss - wieder auf den Highway zurück. Die Autokolonnen sind irgendwann alle abgebogen - hier draußen herrscht nun wenig Verkehr.

Ein Problem gelöst, denke ich und konzentriere mich aufs zweite. Die dunklen Wolken.

Der Weather-Channel, den die Bryants für mich beim Frühstück haben laufen lassen, hat einen Tag wie jeden anderen angekündigt: Sonne und Wolken, ab Nachmittag "Risk of severe Thunderstorms", wie immer. Und da ich, seit ich in den Rockies angekommen bin, immer diese Gewitterwarnungen, nie aber ein Gewitter selbst sehe, mache ich mir keine Sorgen und trete rein.

So umfahre ich den Berg, hinter dem Salmon Arm liegt, beschreibe eine Kurve, tauche ein in tiefen Wald, durch den der Highway mich heute führt und ... komme in den Regen.

Kein Spaß - die Regenfahrt beginnt. Trotzdem Style bewahren - die Sonnenbrille muss sein!

Es scheint nur ein Schauer zu sein, nicht wild, also fahre ich weiter. Grimmig werde ich erst nach einigen Minuten, als der Regen immer stärker auf meinen Helm herunter pladdert und meine Beine - ich fahre natürlich in kurzen Radlerhosen - über und über nass sind.

Zehn Kilometer habe ich gerade einmal hinter mich gebracht, noch über 100 vor mir, und schon nass. Das drückt auf die Stimmung, aber noch gebe ich mir Mühe, das alles nur als Schauer zu werten und freue mich, dass meine Körperwärme ausreicht, um die Nässe fast augenblicklich wieder zu trocknen.

So spüre ich eine seltsame Diskrepanz in meinen Nervenimpulsen, denn die Beine senden "nass", der Rest aber - unter den atmungsaktiven und dampfdurchlässigen Schichten meiner Jeantex-Klamotten gut verpackt - melden "trocken", mehr noch, sie melden "wohlig warm". Neurale Achterbahnfahrt hinter Salmon Arm.

Dann kommt es richtig dicke herunter und ich kann mich gerade noch so an eine Raststätte retten unter die Pergola eines Restaurants, das direkt an den Shuswap gebaut ist. Eine Vollbremsung von 30 km/h durch eine Pfütze, mit einer Fontaine aus Dreckwasser komme ich zum Stehen. Von drinnen schauen Leute raus. Ich friere plötzlich und flüchte hinein, setze mich an einen Tisch und bestelle einen heißen Kaffee.

Drei ältere Herren haben mich draußen schon interessiert beäugt, jetzt drehen sie ihre Stühle so, dass sie mich sehen können.

"Pretty nice Weather, ha?", fängt der Eine an.
Ich schlucke meinen Kaffee und nicke nur ein missmutiges "Yeah." und grinse.
"Going where?", fragt Opa Nummer 2.
"Seattle, via Kamloops, comin´ from Calgary.", antworte ich.
Da drehen sie sich vollends zu mir um. Das finden sie nun richtig interessant.

Wow!, machen sie und fragen. Und fragen.
Immer wieder Fantastic! und Awesome!
"Great!", sagt der Eine, als ich ihm antworte, dass ich Hamburger bin. "I like that City so much."
Ob er schonmal da war, frage ich. Da schiebt er den Ärmel seines rechten Armes hoch. Ein ins Türkise verblichenes Tattoo einer Wassernixe, die sich auf einen Anker drapiert, prangt dort.
"I´m a Sailor, son, and I´ve seen the World.", sagt er. "But the best Place on Earth, I tellya, is ... here: Shuswap Lake, BC, Canada!"

Und die beiden anderen machen einhellig ein langes Yeah!

Die Drei laden mich ein, meinen Kaffee zu bezahlen. Und schon hat es auch wieder fast schon aufgehört. Ein Sonnenloch klafft über dem See - ich bedanke mich, wir wünschen uns alles Gute und einige Minuten später winke ich zum Abschied, als ich wieder auf den noch immer sehr nassen Highway abbiege und meine Fahrt fortsetze.

Seltene Lichtblicke. Weit weg. Unerreichbar.

Es sind diese Wolkenlöcher, die ich herbeisehne. Denn zwischen den dunklen, tiefen Wolken blitzt es immer wieder in reinstem Blau auf. Dort scheint die Sonne, dort ist es warm, dort zwitschern die Vögel und dort, so bilde ich mir sehnsüchtig ein, dort ist das Kanada, das ich gerne haben möchte.

Aber die Realität sieht anders aus. Tatsächlich regnet es immer stärker und nun reicht auch die dampfende Hitze meiner Haut nicht mehr aus, um für genügend Energie zu sorgen, die meine Klamotten trocken hält - ich beginne zu zittern.

Tropfen, stetig neuer Nachschub von oben, sammeln sich auf meiner Sonnenbrille, durch die ich sowieso nicht mehr so gut sehen kann, da es immer dunkler wird. Die Nässe von oben tropft hart gegen meinen Helm - ich komme zwar recht schnell voran, 28 bis 30 km/h sind drin, aber das macht es auch nicht besser. Denn gerade diese hohe Geschwindigkeit sorgt zum einen dafür, dass ich noch mehr aufpassen muss und zum anderen, dass ich noch mehr Regengeplänkel auf meinen getönten Gläsern habe.

Dann endlich wird es mir zu bunt und ich biege wieder vom Highway ab. Zwangspause bei BP. Eine Tankstelle gibt Unterschlupf.

Tankstellenstopp. Wirklich zur Umsatzssteigerung trage ich allerdings nicht bei.

So rattert es auf das Blechdach über mir, als ich meine Speedmachine parke. Eine Banane - Danke Drew! - und ein paar Power-Riegel rutschen, gespült vom Power-Drink, in meinen Power-Magen. Leute halten ihren Tankrüssel in die Autos und nicken mir grinsend zu.

Sie sehen aus, als bewunderten sie mich. "Wow, der Typ hats echt drauf - ich fahre ja schon bei Sonne nicht Fahrrad, aber dieser Mann, der fährt sogar bei diesem Scheißwetter! Was für ein Teufelskerl!"

Zumindest bilde ich mir das ein. Wahrscheinlich, wie immer, halten sie mich einfach nur für ein bisschen bekloppt und sind nur aus Mitleid freundlich.

Die Dame hinter der Scheibe in der warmen Tanke winkt mir fröhlich, deutet auf eine Kanne heißen Kaffee, der neben ihr auf der Theke steht und lädt mich nach drinnen ein - da aber lässt das Pladdern spürbar nach und ich lehne dankend ab: Sonnenloch? Abfahrt!

Eine alte Speedmaschinisten-Wahrheit: Seltene Trockenphasen nutzen für Highspeedrasen!

Schon finde ich mich wieder auf dem Highway und trete mächtig rein. Sattes Grün, feucht und nur so strotzdend vor Farbe umhüllt mich und steht in einem sonderbaren Gegensatz zu den kalten, abstoßenden Farben des Himmels über mir. Ich friere nicht mehr, obwohl sich der Wind, der da über meine nackten Schenkel und Waden fegt, kalt anfühlt.

Dann kommt nur noch ein feiner Srühregen von oben herab, kaum der Rede wert - und ich spüre, wie Enthusiasmus und Energie zurück kehren. Schon habe ich wieder auf Geschwindigkeiten rund um die 30 km/h beschleunigt und finde wieder Zeit, mich auf das zu konzentrieren, was um mich herum passiert.

Und da sind die hohen Berge eher seichten Hügeln gewichen. Junior-Rockies, würde ich sagen. Alpenvorland, Almen, Kuhgebiet. Tolle Grashügel, denke ich, und wie bestellt komme ich an den ersten Rinderherden vorbei.

Erinnert mich ans Alpenvorland, nicht wirklich an die Rockies. Die scheinen hier eher flach zu sein.

Heuballen liegen auf Wiesen, das Tal neben mir ist weit und grün. Landwirtschaft ist hier wohl ein Faktor, denke ich, denn Touristen wird es hierhin eher wenige ziehen: Zu spektakulär die wirklich harten Rockies, die nur wenige hundert Kilometer - ein paar Fahrstunden - von hier locken. Zu rasant die engen Flüsse dort, die zum Raften einladen, zu steil die Felsen dort, die man climben kann, zu tief die Wälder, die man sich erwandern kann.

Aber auch schön, beschließe ich, auch schön für mich, denn so sehe ich mal etwas anderes. Und vor allem - ruhiger hier. Und freue mich, lehne mich zurück und winke schon wieder, denn zwei Radtouristen - die ersten seit Tagen - kommen mir entgegen.

Auch sie winken und lächeln. Ich rufe ihnen das kanadische "Habt einen schönen Tag!" hinterher - "Have a good one!" - und fahre weiter. Und dann erst realisiere ich, warum die beiden so gelächelt haben: Ihre Klamotten waren triefend nass, fällt mir jetzt auf. Und ich ahne, was sie mir sagen wollten.

Du bekommst deine Dusche auch noch, Digger!

Reiseradler mit Rückenwind. Gute Fahrt Euch!

Gedacht - gemacht. Petrus scheint es gehört zu haben und öffnet keine zwei Kilometer später seine Himmelstore. Manchmal, so denke ich noch ganz gelassen, manchmal muss man einfach durch. Manchmal, da regnet es halt und du nimmst es an. Unterstellen, das kann man in der Stadt machen, wenn es egal ist. Das kann man machen, wenn es um nix geht. Aber hier, hier draußen, hier laufen die Dinge eben anders - und dann fährst du eben mal nass durch die Gegend. Immerhin - und so halte ich mich warm - wartet eine heiße Dusche auf mich. Bald. In 80 Kilometern.

Also fahre ich weiter. Lasse ein weitere Tanke hinter mir und sage zum Regen "Komm doch!" Und dann kommt er.
Und was da auf mich herabprasselt, sucht seinesgleichen.

Dichte, weiße Fäden versperren jede Sicht.
Das Klopfen und Schlagen auf meinen Helm ist so laut, dass ich das feuchte Schmatzen meiner Reifen auf dem nassen Asphalt kaum mehr hören kann. Nass, nass bin ich bis auf die Haut, selbst an Stellen, die eigentlich gar nicht dem Regen ausgesetzt bin.

Und dann kommen die Trucks. Normalerweise heiße ich sie willkommen, wenn sie mich überholen. Ihr kräftiger Sog und ein etwa 30-sekündiger Windschatten beschleunigen mich kurzzeitig ohne zusätzlichen Kraftaufwand auf über 35 km/h. Und wenn alle 2, 3 Minuten so ein Truck kommt, summiert sich das nicht unbeachtlich. Ein Bonus, den ich gern mitnehme.

Nun allerdings haben die Trucks den äußerst unangenehmen Nebeneffekt: Da sie in ihrer Windschattenschleppe eine weiße Gischtwelle mitführen, die mich nicht nur zusätzlich durchnässt, sondern mir für etliche Sekunden jegliche Sicht nimmt, wird es gefährlich. Ganz davon abgesehen, dass der Wind jedes mal aufs heftigste an der wackeligen Speedmachine rüttelt, die ich auf dem ölverschmierten Highway sowieso äußerst vorsichtig steuern muss, ist das einfach nur ekelhaft und unangenehm.

Das mache ich genau 5 Kilometer mit. Als dann der Regengott vollends die Sau rauslässt und ich nicht einmal mehr fünf Meter vor mir erkennen kann, ob die Straße nun noch geradeaus geht oder eine Kurve macht und mich die Autos, da ich natürlich kein Licht anhabe, nichtsahnend beginnen, wirklich knapp zu überholen, reicht es mir - verzweifelt folge ich einem Hinweisschild zu einem RV-Park, fahre auf das Gelände und suche einen Unterstand.

Doch ich finde nichts. Es prasselt nur so herunter, mir läuft, gebündelt vom Helm, ein ganzer Bach genau über die Nase auf meinen Bauch, und ich irre fluchend durch den RV-Park. Keine einzige Pergola, kein Dach, kein Carport - nichts!
Das kann doch nicht wahr sein!
Scheiße!

Immer stärker gießt es. Immer nasser werde ich. Der Sandboden nurmehr Matsch unter mir. Da sehe ich eine Blockhütte. Sie sieht leer aus. Ich fahre hinüber, kürze mountainbikemäßig ab und steuere auf Teufel-komm-raus mein Liegerad eine kleine Böschung durch kniehohes Gras bergab, stehe vor einer verschlossenen Tür, die ich kurzerhand auftrete und rette mich und mein Bike nach drinnen. Geschafft!

In letzter Sekunde vor dem wirklichen Regen-GAU gerettet: Phil´s Cookhouse.

Oben prallt der Regen nur so aufs Pappdach.
Fern rollt mächtiger Donner durch die Berge. Oha, denke ich, das Schlimmste kommt wohl noch.
Und hier, hier steht meine tropfende Speedmachine und ihr tropfender Pilot. Pudelnass. Triefend. Stimmung auf Tiefstpunkt.

Ich habe Zeit, wird mir klar. Und bevor ich mich erkälte, fische ich ein Handtuch aus meinen Seitentaschen und trockne mich so gut es geht ab. Ziehe mir eine wärmende Jacke an und trockne dann mein Fahrrad. Ich hasse es, wenn Ketten quietschen.

Trinken, essen - hoppla, jetzt war eh eine reguläre Pause dran - und SMS in die Heimat schreiben. So verbringe ich eine gute Dreiviertelstunde in Phil´s Cookhouse, ehe der Regen nachlässt und wenig später vollends aufhört. Stop-and-Go-Etappe, denke ich. Und das hier, das wird wohl kaum der letzte Stop gewesen sein.

Ich schiebe das Rad raus, lege mich in den kalten Sitz und dann geht mir eine Wahrheit auf. Ich bin wohl doch nicht so hart. Muss mir eingestehen, dass ich wohl ein Schönwetterfahrer bin.

Weit, weit entfernt von den harten Typen, deren Abenteuer ich zuhause im Bücherregal habe. Typen, die sich über Pässe kämpfen, gegen den der Rogers Pass von vor ein paar Tagen wie Frühsport aussieht, Typen, die ganze Regenzeiten und Monsune abreiten und denen dieses Gewitter gar nichts anhaben könnte: Es würde an ihrer abenteuergegerbten Haut abperlen wie die Tropfen an meiner imprägnierten Jacke.

Die miese Laune darf nicht Oberhand gewinnen - ich gehe in mich und denke über meine Einstellung zum Tourenfahren nach.

Dies wissend trete ich rein. Langsamer, trauriger. Es ist zum Heulen, denke ich. So eine schöne Gegend und ich lasse mich von diesem Regenguss so fertig machen.

Was hast du erwartet? rede ich mit mir.
Eitel Sonnenschein? Du bist in Kanada. Im Land der Wildnis und der Natur! Verdammt, du hast doch schon Regengüsse mitgemacht! Bist in Hamburg sogar mal im Hagelsturm auf einer 4-spurigen Straße mit Höchstgeschwindigkeit gefahren. Also reiß dich zusammen, verdammt!

Aber irgendwie ist die Luft raus, merke ich. Ich bin demotiviert. Oder vielleicht geschockt - geschockt, weil der Regen, den sie hier seit Tagen ansagen und der nie kam, der Regen, über den ich immer nur milde gelächelt habe, weil dieser Regen und noch viel mehr nun so über mir hereingebrochen ist und meine ach-so-bequeme Sommerfahrt gestört hat.

Und nun - tritt mir mein Sportler-Ego in den Hintern - nun sei froh, denn nun hast du mal was Anspruchsvolles, nun hast du mal was Widriges, etwas, was mehr ist als nur bergauftreten unter besten Bedingungen.

Nun hast du was Echtes!

Sonne satt und Hitze - schnell die langen Klamotten ausziehen, sonst gibt es einen Hitzestau!

Und kaum habe ich mich zusammen gerissen. Meine Miesepetrigkeit überwunden, meinen weltfremden Anspruch, hier wie auf einer all-inclusive-Reise, die ich ja so verabscheue, nur Perfektes zu bekommen, ad acta gelegt, dieses Wetter, dieses echte Wetter als willkommen akzeptiert - kaum mich arrangiert damit und beschlossen, dass dies auch schön sein kann, reißt über mir der Himmel auf.

Der Himmel reißt auf und Sonne blendet grell.
Strahlen wärmen und lassen mich schwitzen.
Meine Beine trocknen von einer Minute auf die andere und ich muss eine Notbremsung unter einer Brücke einlegen, um mich auf meiner Regenjacke zu befreien, unter der ich sonst in einer Minute einen Hitzeschlag erlitten hätte.

Kaum kommt die Erkenntnis, lässt Petrus Gnade walten.

"Er hat seine Lektion gelernt.", sagt er im Himmel zu den Engeln.
Und die nicken und flattern harfespielend davon, als auch Petrus sich abwendet um sich einem anderen Fall zu widmen.

Es wird wieder Sommer in Kanada.

Der Thompson zieht träge durchs flache Tal - erinnert mich an Arizona-Western hier.

Mittlerweile habe ich den Großteil der Strecke geschafft. Der Wind, während des Gewitters stark und böig, ruppig und aggressiv, hat sich nun gelegt und der bekannte, nachmittägliche Gegenwind schwillt langsam an.

Ich fahre am Rande des Thompson River, an den sich auch eine verlassene Bahnstrecke schmiegt. Es geht mal seicht bergan, mal seicht bergab. Durch den Regen, der - ein Blick in meinen Rückspiegel bestätigt das - über dem Gebiet von Salmon Arm noch wüten muss und wohl noch eine Weile wüten wird - hat der Verkehr merklich abgenommen, sodass ich nun fast allein fahre.

Hinter mir ist die Hölle los - vor mir der reinste Sommer als wäre nix gewesen.

Bald wird es mir auch in meiner langen Bike-Jacke zu warm, denn es ist nicht nur die Sonne, die ungemein wärmt, sondern auch das verdampfende Wasser, das aus allen Poren des Highway nass - aber eben heiß - emporquillt und zusätzlich für Schweißausbrüche sorgt.

Ab und zu grummelt es noch hinter mir, wo es beständig dunkel und immer dunkler wird - aber vor mir, dort, wo ich hin will, nach Kamloops, da sehe ich nur Sonne. Und bald wieder das Flirren der Hitze über dem Asphalt.

Wie auf der Eisenbahnplatte.

Die Schlucht wird wieder enger. Auch ändert sich die Landschaft merklich: Die grünen, mit saftigem Gras bewachsenen Wiesen, sind eher kargen Felsen gewichen. Wie eine Mauer, wie ein kleiner Canyon umschließen sie den Fluss und den Highway.

Einer fruchtbaren Hutkrempe gleich zieht sich ein schmaler, sonderbar künstlich anmutender, Streifen Vegetation am Flussufer entlang. Der Rest sieht trocken aus. Schroff und eigenartig.

Noch 65 Kilometer, sagt mein Bike-Computer, und ich freue mich, dass ich wieder in einen angenehmen Tritt gefunden habe. Meine Rohloff hinter mir surrt das bekannte Lied, sie schnurrt in einem hohen Gang, gibt beständig schnell knarzend die Baseline vor, auf der meine beiden Schwalbe Marathon Racer den Gesang legen. Sonderbar, fast, wie das Unterwasserpfeifen von Walen, singen die Pneus auf dem Asphalt, jedes mal, wenn ich eine Kurbelumdrehung komplettiere, schwillt es kurz an, ebbt dann ab.
Dazu das Knallen des Windes in meinen Ohren, die High-Hats, die das Recumbent-Stakkato komplettieren.

Gleich am Ziel - da könnte man eigentlich ja mal grinsen.

Wie auf einer Eisenbahnplatte, denke ich, wenn ich mir die kleinen Farmen und Reitergestüte anschaue, die sich filigran an die spärlich bewachsenen Hügel klammern. Wie damals, fühle ich mich plötzlich in meine Kindheit zurück versetzt, als mein Bruder bis spät in die Nacht mit künstlichem Grasflaum und Klebstoff die Rockies in Spur H-Null fürs Kinderzimmer nachgebaut und begrünt hat.

Ein Grün, das genauso außerirdisch leuchtete, wie dieses hier.

So fahre ich, Stunde um Stunde, und die Landschaft wird immer karger. Immer trockener. Immr wüstenartiger. Meine treuen Begleiter, der Thompson-River und der Schienenstrang, sind gelangweilt, reden nicht mit mir, liegen einfach nur träge da und dampfen in der Sonne herum.

Ich jedoch, ich schwitze. Wieder nass, denke ich, diesmal von innen. Wie ich wohl rieche, wenn ich heute ankomme? Egal, meine ich - Männer, die gearbeitet haben, dürfen auch mal stinken.

Da grüßt schon ein buntes, nettes Schild. Und ich mache mich bereit, anzukommen - Bitte stellen Sie ihre Sitze aufrecht, klappen Sie die Tische hoch und ... Landeklappen raus!

Hello Kamloops - wer ein so buntes Eingangsschild hat, der muss eine coole Stadt haben!

Aber noch bin ich nicht da. 20 Kilometer, sagt der Computer. Doch ich freue mich. Freue mich über dieses sympathische, bunte Schild, das eine ebenso sympathische, bunte Stadt verspricht, dass ich umkehre, um es zu fotografieren. Dann trete ich wieder rein. 20 Kilometer? Das ist nicht mal ne Stunde.

Langsam geht mir mein Trinken aus. Bananen oder Riegel habe ich auch keine mehr - jetzt, gerade einmal 15 Kilometer vor meinem Ziel Kamloops, ist das aber völlig normal. Da entdecke ich am Horizont ein riesiges Shell-Schild, eine Tanke, freue ich mich, halte in der Einöde, um zu pinkeln und beschließe, mir ein Eis zu kaufen. Ein Eis am Stiel als Belohnung für gutes Regenfahren.

Aber erst nochmal pinkeln in der Wüstenhitze ...

Ich kaufe die halbe Tanke leer, habe ich das Gefühl, denn erst als ich abgestiegen war und den Helm ab hatte merkte ich, wie hungrig ich doch war. Und so streiche ich das Eis - das kann ich immer noch in Massen essen - gegen Wichtigeres: Ein riesenhaftes Beef-Sandwich, ein Liter Schokomilch (ich bilde mir ein, das wären wertvolle Proteine) und ein süßer Mars-Riegel (schnelle Energie) landen in meinem Schoß, als ich die Speedmachine etwas abseits der spritstinkenden Tanke auf dem Truckerparkplatz abstelle, um mich genüsslich dem Fleischberg zu widmen, der da in scharfer Soße zwischen zwei labbrigen Baguettehälften herumlungert.

Als etwas Merkwürdiges passiert.
Etwas zutiefst Amerikanisches.
Etwas, das es nur hier geben kann.

... und dann staunen über den Train-Drive-in bei Shell. Ob es sowas auch bei der DB gibt?

Ich sitze also in der Wüste, hinter mir brummen die Klimaanlagen einiger der Trucks, als direkt vor mir ein Zug kommt. Ein Güterzug, ein langer, langer Güterzug. Wow, denke ich noch, das ist der erste Zug, den ich in diesem Land sehe - und erinnere mich an "The Last Spike" gestern. der Zug, gezogen von einer starken, fetten, blauen Lok, kommt angedonnert - und geht genau vor mir in die Eisen.

Vollbremsung. Wahnsinn, denke ich, als unter meinem Hintern die Erde anfängt zu beben. Direkt vor mir, keine zwanzig Meter entfernt, kommen tausende Tonnen Stahl zum Stillstand. Mit einem letzten Kreischen hält der Zug an.

Vorne, die Lok läuft im Leerlauf, kommen seichte schwerze Wolken aus dem Dieselschornstein. Da geht die Tür des Fahrerhäuschens auf und ein untersetzter Herr - der Lokführer - springt aus der Lokomotive. Er klettert die Leiter hinab zum Gleisbett.
Und läuft über die Straße.
In die Shell-Tanke.

Und dann ist erstmal 10 Minuten Ruhe. Der Güterzug steht mit laufendem Motor (logisch, wir sind ja in Amerika) auf der Strecke.

Wenig später, ich habe gerade ausfgegessen, kommt Herr Lokführer wieder - Mit Tüten behangen vom Einkauf. Als er umständlich ins Führerhaus geklettert ist, gibt die Lok wenig später wieder Gas und ruckt langsam an.

Das Train Drive-in ist beendet. Drive-in Burger kennen wir ja. An die Drive-in Geldautomaten habe ich mich mittlerweile auch gewöhnt, aber ein Güterzug, der an einer Tanke hält ... so etwas habe ich selbst in Amerika nicht erwartet. Aber dieser Kontinent hat eben wirklich an jeder Ecke etwas Skurriles zu bieten.

Kopfschüttelnd und belustigt trinke ich meine Schokomilch aus und mache mich an die letzten Kilometer. Kamloops liegt wenig später vor mir, eine schöne, kleine, seichte Stadt, denke ich, als ich einfahre und mich unversehens erst einmal auf einer 6-spurigen Autobahn wiederfinde. Von hier aus geht der 5A, der Yellowhead Highway und der Highway 1, mein treuer Trans Canada Highway, ab und da muss man eben ein paar Fahrtrichtungen zusammenbringen. Es geht abenteuerlich auf Zubringerbrücken und durch Unterführungen, vorbei an riesigen Autobahnampelkreuzungen (auch skurril) und irgendwann im nun wieder mächtig dicken Traffic in die Stadt hinein.

Dann biege ich ab, verlasse den Highway und bin mitten in Kamloops. Und bin überrascht - hier sieht es europäisch aus. Habe ich bisher eher in streng amerikanischen Städten und Städtchen Rast gemacht, erinnert mich die Hauptstraße, durch die ich nun gemütlich fahre, eher an Deutschland oder Holland.

Fußgänger, eine Menge Shops und Restaurants (ich komme gleich wieder!) und sogar Radfahrer. Großartig!

Mein erstes Liegerad in Kanada. Naja, ein Hybrid.

Irgendwo entdecke ich dann sogar auch das erste Liegerad-artige Gefährt meiner Kanada-Reise, ein etwas herunter gekommenes Hase Pino, das bestimmt schon einiges von der Welt gesehen hat. Ihre Piloten sind gerade vor meinen Augen im Hotel, vor dem es steht, verschwunden, und so kann ich keinen Schnack abhalten, aber ich freue mich trotzdem, jemanden "aus der Familie" getroffen zu haben.

Ich muss in Joyce´s Bed & Breakfast - in der Nicola Street, die sich, dem praktischen Schachbrettmuster sei Dank, nur 4 Straßen neben mir befindet.

Also biege ich links ab und denke mir, tralala, nur 4 Straßen, dann bin ich da, dann dusche ich endlich heiß und lange, dann gibts andere Klamotten, juchu, tüdelü, mache ich, als die Ampel auf grün schaltet und jumsdidumsdi fahre ich an, biege ab und ... bleibe in einer Steigung stecken, die diese verrückten Amis anscheinend bei der der Tour de France abmontiert und hier wieder aufgebaut haben - es geht mit mindestens 16, 17 % bergauf!

Nee-is-klar!

Äh, mache ich, und muss lachen. Ich rolle binnen 2 Metern von 15 auf 0 km/h aus, das Rad lustlos in den Berg gestellt, und ich muss lachen. Das ist doch jetzt bitte nicht Euer Ernst, oder? Ich muss so lachen, dass ich mein Liegerad auf den Gehweg rolle und meine Schuhe ausklinke.
So stehe ich da und lächle.
Lächle wie bekloppt vor mich hin und weiß nicht, wie zur Hölle ich diese Steigung jetzt noch schaffen soll. Seit ihr bescheuert?, denke ich, wollt ihr mich verarschen?!

Doch ein gar nicht mal allzu fernes Grollen hinter mir motiviert mich. Ich blicke mich um und sehe eine dunkle Wolkenfront recht eindringlich und schnell über der Stadt heraufziehen - und obwohl ich heute Vormittag meinen Frieden mit dem Regen gemacht habe, muss ich nicht wirklich noch einmal nass werden.

Kleinster Gang. So kurbele ich mich die erste die vier Straßen nach oben. Es ist so steil, dass ich nicht einmal 6 km/h erreiche und keinerlei Stabilisierung am Rad habe. Heftig lenkend, wie betrunken, eiert die Speedmachine den Berg hinauf. Peinlich, wenn neben mir die Autos, die hier auch extrem langsam fahren, vorbeikommen und mich, sporty gekleidet wie einer, der gleich die Schallmauer durchbrechen will, hier nicht mal bei Kindergartenspeed beobachten können.

Als wenn Schumi zu Fuß geht.

200 Meter geschafft. Pause. Ich schwitze wie ein Schwein. In Strömen läuft es mir herab.
Es grummelt in den Wolken. Mist, denke ich. Weiter!
Und wieder 200 Meter. Ich drehe durch! Der Weg wird enger, ich kann kaum noch ordentlich lenken. Komme mir vor wie ein Strongman, der auf einem Jahrmarkt einen Jumbo-Jet ziehen muss - es auch schafft, aber mit allergrößter, unmenschlicher Anstrengung das Ding irgendwie nur 5 cm bewegen kann.

Zweite Straße. Ich bin tot.
Dritte Straße. Ich will Doping.
Vierte Straße. Ach, leckt mich doch am Arsch!

Völlig außer Atem, vollkommen leer und im Eimer erreiche ich das Haus. Zitronengelb leuchtet es, es grinst mich an, heißt mich willkommen. Es scheint mich zu beruhigen, mich anzulächeln - und siehe da, mein Motivationsgewitter, nach dem ich mich umdrehe, ist wie von Zauberhand verschwunden.

Ich klingle.
Und warte.

Joyce´s Bed & Breakfast. Endlich!

Und warte.
Und warte.
Dann schlurft etwas hinter der Tür. Es knackt im Schloss. Ich schaue auf die Uhr - 10 Minuten sind vergangen. Dann öffnet sich die Pforte - ich schaue nach unten und es blickt mich eine sehr, sehr alte Dame an.
"Oh, the Cyclist!", sagt sie und heißt mich willkommen. "I am Joyce."
"I´m Lars, nice to meet you.", entgegne ich und trete ein.

Das Haus ist wundervoll, rutscht es mir sofort über die Lippen. Es ist alt, sehr alt, wahrscheinlich genauso als, wie Hausherrin, wenn nicht älter. 120, schätze ich.

Ich lege meine Tasche ab und Joyce bittet mich upstairs, um mir mein Zimmer zu zeigen. Auf dem Weg dahin, kommen wir am Wohnzimmer vorbei, wo - na klaro - der Fernseher läuft. Ein kahlköpfiger, extrem dürrer junger Mann schaut mich aus tiefen Augenhöhlen an, hebt seinen viel zu großen, kahlen Kopf, der auf einem viel zu dürren Hals sitzt und ich bin erschrocken.
Gottseidank stimmen meine Reflexe, und so halte ich ihm die Hand hin.

"I´m Lars, nice to meet you", sage ich wieder.
Langsam, sehr langsam öffnet sich sein Mund, er mustert mich, seine dunklen Augen - wie Scanner in einem SciFi-Film - tasten mich ab. Er überlegt, während sein Mund aufgeht, er denkt nach, angestrengt, das kann ich sehen, wägt ab, Wort für Wort, denkt und denkt, ein kurzes Stirnrunzeln und dann ... "Nice to meet you too, Lars.", sagt er.
"I´m Martin."
Ihr Sohn?

Oben winkt Joyce. Oh man, wo bin ich hier nur?
Mein Zimmer ist geräumig und genauso strang eingeräumt, wie das ganze Haus hier - aber sehr liebenswert. Puppen sitzen auf dem Fenstersims, die Tapete ist von 1947 und das Bett könnte so in dieser Form auch im Wild-West-Museum stehen.

Aber, und das ist mir das wichtigste, es ist sauber und gepflegt.

Joyce lässt mich allein, nachdem ich die Speedmachine im Keller einschließen durfte, und ich bekomme endlich meine Dusche. Lange, lange stehe ich im heißen Strahl und genieße das Wasser. Wasche den Dreck ab, den der Regen, vermischt mit dem Salz meines Schweißes unter meine Klamotten gespült hat, wasche meine Haare, die den Staub der Straße im Regen zu einem kleinen Schlammfilm haben werden lassen und entferne die Ashaltkörnchen unter meinen Fingernägeln.
Ich bin wie neugeboren.

Martin rührt mich mit Mozart zu Tränen.

Martin entpuppt sich als Sohn tschechischer Einwanderer, als japanischer Mönch, als Cellist. Er hat hier morgen ein Vorstellungsgespräch bei dem philharmonischen Orchester und so setze ich mich, ein wenig Entspannung suchend, zu ihm in den kleinen, sonderbar buddhistisch anmutenden Garten hinter Joyces Haus.

Martin spielt Mozart - "another dead german guy" - wie ein Gott und während ich mein Tagebuch schreibe, interpretiert er die kleine Nachtmusik und einige andere Stücke mit einer herzzerreißenden Leidenschaft, dass selbst Joyce einmal vom TV-Sessel aufsteht und uns frischen grünen Tee bringt.

Mit Martin erkunde ich Kamloops. Ich habe Hunger - er ist nervös, seines Termins wegen. Ich kann ihn beruhigen und versichere ihm, dass er, so wie er spielt, den Job sicher habe. Er zweifelt, ist in sich gekehrt und nachdenklich.

Unsere Wege trennen sich am frühen Abend, und während ich, inspiriert durch ihn, der ein Jahr lang bei Mönchen in einem japanischen Kloster gelebt hat, es mir bei frischem Sushi gut gehen lasse. Lecker Proteine, denke ich, als ich mir ein Maki nach dem anderen einverleibe.

Kamloops ist anders, als die Städte bisher, das merke ich gleich. Geschäftiger, nicht so touristisch angehaucht und deshalb authentischer. Leider sehe ich jetzt auch die Kehrseite: Bettler und Obdachlose fallen mir besonders auf und ich wundere mich, dass ich an keinem einzigen Tag bisher keinen einzigen Bettler gesehen habe. Schlimm, aber auch das ist die Realität, genauso wie der Regen. Genauso wie der Gegenwind.

Kein TV, dafür ein Gruß an die Mutter per Twitter und die Lieben daheim.

Ich entspanne bei einer kleinen Massage meiner gestressten Waden, in meinem Bett liegend, schreibe meinen Lieben daheim noch eine SMS und schlafe ziemlich schnell ein.

Draußen ziehen dicke Wolken heran, es gewittert, grollt, blitzt und plattert an meine Fensterscheiben. Tobe dich aus, Wetter, rate ich ihm, mach, regne, stürme, kein Ding - umso schöner wird das Wetter morgen, hoffe ich, bilde ich mir ein und nicke weg, schlafe den Schlaf von 115 Kilometern, die ich heute in den Beinen habe und träume mich weg.

Soll es über Nacht ruhig gewittern. Das tut es auch.

"Was für eine Etappe!", schreibe ich bei Twitter - meiner neuesten Errungenschaft für meinen Daily-Blog, "2,5 Stunden im Regen gefahren, nass bis auf die Knochen." Und in einem weiteren Post: "Es war geil!"

Cryin´ in the rain? No more, no more ... ich bin heute zum Ritter geschlagen worden, habe heute wieder einiges gelernt, über das Tourenfahren, über Akzeptanz dessen, was Natur ist, nämlich dass es nicht nur Sonne, Rückenwind und alles-prima gibt, sondern auch Regen, Gegenwind und platte Reifen.

Und auf den, auf den warte ich noch. Denn der wird bestimmt kommen. Irgendwann auf dieser Tour, irgendwann, auf dem Seitenstreifen, wo die kleinen, spitzen Steinchen warten, und dann, genau dann, wird der Reifen platzen, wenn ich mich sicher fühle, wenn es mir gut geht und alles fein läuft, wenn ich mich sicher glaube.

Er wird platzen. Und ich werde wieder eine Lektion lernen. So wie heute, als ich nass wie hulle durch den Regen gerast bin.

Gefahren: 115,58 km in 4:07 h und affenstarken, kaum zu glaubenden 28 km/h Schnitt - in diesem Regenwetterchaos und bei seichtem Rocky-Mountains-Gegenwind der Hammer!

Martin hat den Job übrigens bekommen.