I´m running on Bananas

Tag 13: Hope - Vancouver

Na hoppla, denke ich, als ich aufwache und mir wieder die Energie nur so aus dem Hintern scheint - ich vibriere, zittere förmlich vor Kraft. Heute will ich, heute muss ich, heute kann ich endlich wieder zurück auf den Highway! Der "Ruhetag" hat mir gestern zwar Erholung gebracht, das kann ich nicht bestreiten, aber dummes Herumsitzen ist eben auch nichts für mich. Ich bin hier, um mich zu bewegen. Mich fort-zu-bewegen.

Und so stelle ich den Wecker auf 6:30 Uhr und bin auch sofort auf den Beinen, als mein Handy neben mir anfängt zu surren und zu tönen. Juchu, frohlocke ich, springe auf, wasche und putze mich, bin im Nu angezogen, brühe mir meinen "Kaffee", schäle mir eine Banane und hocke am Sofa, blicke immer wieder ungeduldig von meinem Joghurt auf, hinüber zu meiner Speedmachine, wie sie da steht, geparkt, ruhig, aber gespannt, gebückt, zum Sprung bereit, wie eine Raubkatze. Wunderschön, gefährlich - ein Kunstwerk.

Und mich dazu, ihren Reiter, ihren Piloten, im hautengen Dress, im Kampfanzug - Mensch-Maschine, eine Einheit. Hier und heute, am Tisch im Motel in Hope um kurz vor Sieben. Hier
mache ich mich klar. Mission Briefing: 160 Kilometer. Immer geradeaus. Vancouver heißt das Ziel. Die längste Etappe der ganzen Tour.

Ich habe so richtig Bock!

Auf dem Highway ist nicht die Hölle los. Lucky me.

Einige Minuten später biege ich auf den Highway ein, habe frischen Wind im Rücken und trete, als seid dies heute meine erste, nicht die achte Etappe. Moment mal, denke ich, Moment! Wind im Rücken? Im R-Ü-C-K-E-N?
Ich prüfe es noch einmal. Und tatsächlich, eine leichte Brise, nicht viel, nicht stark, aber ich kann sie spüren - sie weht von achtern her an meinen Helm.

Rückenwind?
Rückenwind, hier, heute, für mich? Das, das gibt es doch gar nicht, nein, denke ich, nein, das glaube ich nicht! In den Rockies gibt es kein Rückenwind! Hier ist nichts, was es dir leichter macht! Hier hält die keiner die Tür auf, bittet dich hinein, hier macht die keiner die Steigungen weniger steil, hier bügelt keiner die Berge glatt und schon gar nicht bläst dir hier einer von hinten den Wind um die Ohren! Nein, nein und nochmals nein.

37 - steht da auf meinem Bike-Computer. Und langsam glaube ich es auch: Rückenwind. Wow!

Ich wundere mich, dass es heute Rückenwind gibt. Wo ist der Haken?

Ich komme so gut voran wie schon lange nicht mehr. Der Wind hilft mir, meine Beine frohlocken und feiern eine Messe in Speed. Ich halte mich zwar rechts auf meinem Seitenstreifen, aber ich könnte auch genauso gut eine Spur weiter links fahren. Oder meinetwegen auch auf der Überholspur - der Highway ist leer. Leer, richtig leer gefegt.

Ab und zu kommt mir ein Truck entgegen, einmal auch ein recht schäbig aussehender Kombi mit einer Horde Studenten, die ihre Arme aus den Fenstern recken, wie verrückt winken und
ein Hupkonzert veranstaltet.

Ich bin außer Atem - das schnelle Treten bei dieser Geschwindigkeit fordert seinen Tribut. Ich reiße mich zusammen, immerhin sind noch 145 Kilometer zu fahren. Ich reiße mich zusammen, schalte einen Gang runter und gehe es etwas gemütlicher an. Bei einer Banane und 32 km/h denke ich mir, bin ich trotzdem sauschnell unterwegs.

Saftiges Grün, höhe Berge. Die Rockies tischen noch ein mal alles auf.

Die Luft ist wieder so unendlich frisch. Auch hier bewege ich mich in Indianergebiet - rechts von mir fließt der Fluß, träge nun und gar nicht mehr so reißend schnell wie noch vorgestern oben am Coquihalla-Pass, und ab und zu sehe ich wieder die Hinweisschilder auf archäologische Stätten - "National Heritage - Native Village" steht dann da. Und einige hundert Meter später - "Indian Casino". Das alte Lied.

Mein Gesicht ist feucht, was von der Luft herrührt, durch die mein Liegrad schneidet. Weißer Flaum hängt über den Gipfeln der Berge, der Straßenbelag ist leicht feucht, was ich am wohligen Schmatzen meiner Reifen auf dem Asphalt hören kann. Links und rechts der Wald, er schläft, Vogelgezwitscher gehört noch nicht zur Touristenkulisse - die liegen wohl auch noch alle in ihren Nestern herum.

Nur der Speedmaschinist, der ist wieder unterwegs.

Fast gespenstisch, so ganz allein. Selbst die Vögel schlafen noch.

Kilometer 30.
Es fängt an zu regnen. Natürlich, es muss ja, denke ich. Es muss ja einen Haken geben, hätte ja auch nicht sein dürfen, dass der Wettergott mir Rückenwind beschert ohne dass dabei noch eine Bedingung geknüpft wäre. Regen soll es also sein. Okay, denke ich, okay.

Ich halte kurz an, atme einen Power-Riegel und eine Banane weg und stopfe hastig kauend - denn der gute Rückenwind könnte ja alleine, ohne mich weiterziehen - eines der Handtücher, das ich aus dem Motel habe mitgehen lassen, zwischen Trikot und Jacke. Eine flauschige, saugfähige - und wärmende - Schicht aus dickem Frottee.

Die Tropfen fallen, ich schalte mein Blinky-Bill-Rücklicht an und so trete ich mit 32 bis 33 km/h durch die leicht wellige Landschaft. Saftige, grüne Rockies, sie werden gerade ein bisschen gegossen, nichts Schlimmes, rede ich mir ein, bin guter Dinge, denn solange es so schnell voran geht, kann mir der Regen nichts anhaben.

Leider schwillt mit dem Regen auch der Verkehr an - Kanada steht jetzt wohl auf - und so bin ich wieder mal der Gischt und der Killer-Schleppe einiger Trucks ausgesetzt. Aber dafür wärmt mich mein Frottee-Tuch. Hat eben alles auch sein Gutes.

Da hätten wir den Haken: Regen zieht auf. Und ich ihm davon.

Irgendwann passiert es dann. Ich habe nicht ganz aufgepasst, wann genau es war. Habe nicht bewusst hingeschaut, war wahrscheinlich mit meinen Gedanken gerade ganz woanders. Und dann ist es passiert - die Rockies, sie haben aufgehört.

Sie waren auf einmal vorbei.
Ich schieße auf der Straße eine seichte Abfahrt hinab. Links und rechts je ein Berg. Und dann, vor mir - kein Berg mehr. Links und rechts die Brocken, sie bleiben, sie bleiben hinter mir zurück, bleiben stehen, ihre Flanken fallen ab. Und dann - Ebene. Ich fahre in einer Ebene. Keine Berge mehr. Keine Felsen in den Augen mehr. Kein Schatten durch steile Wände mehr.

Ich drehe meinen Kopf, schaue nach rechts - und sehe, wie sich die Rocky Mountains wie eine Wand zum Horizont hin ziehen. Aber sie sind weit weg.
Ich blicke nach links. Drehe meinen Kopf, schaue durch den Regen, und auch hier sehe ich schwarz die Umrisse von Bergkuppen in weißen Regenwolken verschwinden - weit weg, wie eine Wand aus Stein.
Das wars.
Rockies adé, denke ich, konzentriere mich nach vorn, dort, wo in 20, 30 Kilometern noch ein kleiner, einzelner Berg steht, an dem mich der Highway vorbeiführen wird, aber wo sonst kein einziger Höhenmeter zu erkennen ist.

Rockies.
Ich bin durch!

Die regenverhüllten Rockies bleiben hinter mir zurück.

Hinter mir sehe ich sie, eine graue Wand, schwarz fast, dunkel, wolkenverhangen, feucht. Und ich erinnere mich an meine ersten Meter hier in diesem Land, vor Tagen, vor Wochen, vor Monaten schon, wie es mir scheint, an diese ersten Meter, als ich mich noch unsicher und abwartend am ganz rechten Rand des Highways herum gedrückt habe und ich auf einmal vor ihnen stand - den Rockies.

Und heute? Heute fühle ich mich wie ein alter Hase. Ein Crack, kein Rookie mehr. Ein Pro, wie die Amis sagen würden. Heute bin ich es, der sich hier auskennt. Ein Haudegen des Asphalts, ein Cowboy, ein wahrer Asphalt-Cowboy. Denn ich habe sie gemeistert, die Rocky Mountains - ich habe es geschafft! Und als Beweis mache ich ein Foto vom Gebirge, das da hinter mir zurück weicht auf breiter Flanke, von den Rockies, diesen coolen Rockies.

Und dann fingere ich mich eine Banane aus der Satteltasche, lege mich wieder gemütlich in meinen Sitz - lache ob des Regens, der mir nichts mehr anhaben kann und schlucke die Bissen reine Energie hinunter.
Und lächle.
Milde.
Denn die Regentropfen perlen gerade nur so an meinem Ego ab.

USA? Übermorgen erst, aber danke für die Einladung.

"Mission USA-Border" - da steht es auf dem Schild. Aber noch nicht für mich, denke ich, noch nicht heute, Jungs. Obwohl es schon verlockend klingt, gleich jetzt, hier und heute abzubiegen, über die Grenze zu fahren, raus aus Kanada und rein in die Vereinigten Staaten, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Aber dann rufe ich mir die Karte ins Gedächtnis und den Grund, warum ich einen 300-Kilometer-Schlenker über Vancouver und Vancouver-Island mache: Von hier bis Seattle zieht sich ein elend langer, zersiedelter Streifen undefinierbarer Stadt-Dorf-Einkaufsmall-Konglomerate in den Süden. Und das, was Google-Maps mir daheim gesagt hat, ist kein Spaß, hier zu fahren.


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Also folge ich bei Abbotsford dem Schild, das mich weiter auf dem Highway und wieder nach Norden bringen wird - nach Norden, nach Vancouver, der Stadt, von der ich schon so viel gehört habe.

Es geht relativ eben voran, nur seichte Wellen hält die Landschaft für den Liegerad-Piloten hier bereit, die sich dann auch noch über mehrere Kilometer hinziehen, sodass die Anstiege mich nur unwesentlich bremsen - meist fahre ich hier mit 32 km/h hinauf, der Geschwindigkeit, die ich sonst als Maximum in meinen Touren fahre.

Meine Güte, denke ich, sind das da meine Schenkel vor mir, die hier so leichtgängig wie ein junger Wankelmotor dieses schwere Rad beschleunigen?

Irgendwann steht die 100 auf dem Bike-Computer und pünktlich zu meinem Entschluss, eine kleine Pause einzulegen, wagt sich auch die Sonne wieder hervor.

Straight on nach Vancouver - im Sauseschritt.

Ich fahre auf einen kleinen Rastplatz, suche mir eine etwas abseits gelegene Parkbucht und setze mich auf das nass geschwitzte und nass geregnete Handtuch aus dem Best Western. Power-Riegel, Power-Drink und die obligatorische Power-Banane werden ausgepackt, dazu mein Handy, um der Mutter, den Freunden und dem Twitter-Portal eine Nachricht vom Status zu schicken.

Und was steht da: "Komme super voran - Rückenwind - Vancouver nur noch 3 Stunden entfernt."

Das sind ja mal Geschwindigkeiten wie bei der Tour de France. Wow!

Als ich wieder im Sitz meiner Speedmachine liege und reintrete, muss ich mich revidieren - wenn der Rückenwind, der aufgefrischt zu haben scheint, weiter so bläst, bin ich weit schneller am Etappenziel.

Ich schieße, vollbeladen, darf man nicht vergessen, mit um die 40 Sachen auf dem Seitenstreifen entlang. Immer wieder kurzzeitig auf 45 km/h beschleunigt, wenn mich die - nun wieder verstärkt auftretenden - Trucks überholen und mich mitziehen. Ein Fest, ein Rausch, ein Speed-Festival, würde ich es nennen.

Schon ist es mir viel zu warm in meiner langen Bike-Kombination, aber nun anhalten, diesen Blutrausch, dieses Tretkurbel-Massaker zu unterbrechen käme mir nicht in den Sinn! Die Kilometer fresse ich nur so weg, ich atme schwer, schwitze wie ein Tier, aber ich kann nicht anders, bin gefesselt von der 4, die da auf meinem Tacho steht und bekomme kaum mit, dass, je näher ich Vancover komme, die drei Fahrspuren neben mir immer voller werden.

Mit dem Speed nimmt leider auch der Verkehr zu.

Langsam bekomme ich Probleme, zu atmen. Denn 30 Kilometer vor Vancouver finde ich mich in einem sehr zähflüssigen Lindwurm aus stinkenden Blechkarossen wieder, die sich über den Highway kämpfen.

Manchmal nur unwesentlich schneller - 60 maximal - überholen mich glotzende, staunende, grüßende, kopfschüttelnde Kanadier und eine Menge Amis. Ich habe nichts dagegen, angeschaut zu werden, aber jetzt ist das doch recht unangenehm: Ich traue mir nicht einmal, mir meinen Schritt zu richten, denn ständig schauen und grinsen Leute herüber. Aber da muss man wohl eine Egalhaltung einnehmen, denke ich mir, und tue so, als seien die da drinnen gar nicht anwesend.

Manchmal bin ich freilich schneller als sie, wenn sich zum Beispiel an einer Ausfahrt die Autos stauen. Dann staunen die nicht schlecht, wie der dünne Deutsche da an ihnen vorbei schießt, der orangefarbige Blitz sich liegend durch die Autoschlange zwängt, sie alle abschüttelt und bald schon verschwunden ist.

Doch dann der Schock - ohne Vorwarnung geht es auf einmal steil bergab. Ich kann noch "Welcome to Burnaby-Harbour" lesen, da richtet mein Liegerad die Nase nach unten, die drei Spuren werden auf eine verengt, der Seitenstreifen fehlt gar völlig und ich rolle mit 65 km/h auf eine Brücke zu.


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Die Burnaby-Harbour-Bidge: Alt, eng und groß. Goldig angemalt ist mir aber gerade gar nicht goldig zumute: Zum ersten Mal seit dem ich in Kanada bin, werde ich angehupt. Und das mit Recht - hier ist für Fahrräder der Highway verboten, was ich zu spät merke und keine Chance mehr habe, diese enge und gefährliche Passage zu umgehen.

Nun bin ich drin - mitten auf der Fahrbahn auf einem kanadischen Highway bei 65 km/h und Gegenstand eines Hupkonzerts. Zu erst noch winke ich entschuldigend, dann konzentriere ich mich (auf die Schlaglöcher, die der alte Asphalt hier bereit hält) und versuche, so schnell wie möglich auf die andere Seite zu kommen.

Keuchend trete ich mir die Luft aus den Lungen. Kämpfe mich zur Mitte der Brücke die Steigung empor, lasse auf der anderen Seite nur kurz bergab rollen, denn hinter mir taucht im Rückspiegel gefährlich nahe das raubtierartige Maul eines Dodge Ram auf, dessen voluminöser Dieselmotor jedes mal bedrohlich röhrt, als der Fahrer ansetzt, um mich zu überholen.
Hier zu sterben, das muss nicht sein, denke ich mir, und nehme die erste Ausfahrt.

Mein Herz schlägt Purzelbäume, meine Lungenbläschen fallen mir aus dem Mund, die Waden glühen und mir steht das Wasser zwischen Bein und Hose, so fertig hat mich die Fahrt über den Fraser River gemacht.
Eine Banane wird es richten, denke ich mir, pausiere kurz, konsultiere meine Karte und beschließe, auf dem kleinen Highway 7 zu bleiben, der mich auch in die Stadt führen wird.

Vancouver begrüßt mich mit Skytrain und Bike-Lane.

Das tut er dann auch - und ich frohlocke, als ich das überraschend bergige Vancouver auf einem Radweg befahren darf. So bike ich neben dem Skytrain her, überhole die ersten Commuter, die mit Fahrrädern unterwegs sind und sehe mich schon dem Ziel nahe.

Bis mir an einer Tankstelle ein freundlicher und sehr an meinem Liegerad interessierter Inder erklärt, dass es noch an die 20 Kilometer sein würden, die ich benötige, um zum Vancouver-Harbour zu kommen, wo sich mein B&B befindet.

Auch okay, denke ich mir, blinzle in den Himmel, der ein saftiges Blau und jede Menge schicker Wolken bereit hält, die wenigstens ab und zu etwas Schatten vor der wieder einmal heiß danieder brennenden Sonne bieten.

So gleite ich wieder in den Sitz, trete in die Kurbeln und lasse es etwas langsamer angehen - den Kamikazeflug, den ich jetzt hier heute aus dem 140 Kilometer entfernten Hope hingelegt habe, kann ich im Stadtverkehr sowieso nicht fortsetzen, zumal, und das kann ich sehen, Vancouver nicht gerade eine ebenerdige Stadt zu sein scheint.

... das musste ja mal gesagt werden! Nicht, dass die Leute denken ...

Irgendwann erreiche ich dann das Ortseingangsschild dieser Stadt. Und freue mich, dass es hier nun also doch keine Atomwaffen gibt. Hat sich also schon mal gelohnt, hierher zu kommen.

Vancouver empfängt mich so, wie einen Reisenden alle amerikanischen Städte empfangen - mit einem scheinbar endlosen, für meinen Geschmack zu sehr zersiedelten Mischmasch aus gleichförmigen Eigenheimsiedlungen und einer Kette von Riesenmalls, Burger-Drive-Ins und Autowerkstätten. Es ist überall das selbe.

Doch ich freue mich über meinen Radweg und darüber, dass ich eigentlich nur dem Highway 7 immer folgen muss, bis ich irgendwann rechts abbiege um mein B&B zu finden.

Suburbia.

Schließlich lasse ich die flachen Eigenheimsiedlungen hinter mir und fahre in die Stadt ein. Ich habe gelesen, dass Vancouver sehr asiatisch angehaucht sein soll - und sehe dies bestätigt. Allentahlben werben asiatische Restaurants - vietnamesische vor allem - und Sushi-Bars um Gäste, ein Asia-Shop reiht sich an den nächsten und auch, was die Fußgänger angeht, ist hier alles sehr asiatisch.

Ich fühle mich wohl, trete gemächlich im Stadtverkehr durch diese wohligen, würzigen Gerüche, die mir so willkommen sind - leckeres Essen dampft da in den Töpfen und es riecht nach Gai Pad, Koriander und Thai-Basilikum. Ich merke erst jetzt, wie sehr ich Hunger habe und kann mir ohne Probleme vorstellen, wie leer meine Reserven nun sein müssen, nach diesem Highspeed-Husarenritt, den mei Körper und ich hier hinter uns haben.

Die letzten Kilometer durchs asiatische Vancouver.

Aber nicht zu früh freuen, mahne ich mich zur Ruhe, denn noch habe ich es nicht geschafft. Wann kommt denn nun die Maple Street? Auf den Google-Maps-Ausdrucken sieht das alles so einfach, so kurz aus, aber in Wahrheit dehnt sich diese Stadt dann doch wohl etwas mehr, als es den grafischen Anschein hat.

Leider gibt es bald keine eigene Bike-Lane mehr, sodass ich mir den Busstreifen mit etwas altertümlich wirkenden Trolley-Bussen teilen muss. Witzig - so etwas habe ich seit meinen Jugendtagen in Moskau nicht mehr gesehen. Hier also fahren diese durch Oberleitungen versorgten Elektrobusse auch.

Sehr löblich, denke ich mir, und vertreibe mit Abscheu Erinnerungen an den dichten Dieselqualm anfahrender Busse in meiner Heimatstadt Hamburg.

Äh, nein, an diese Aufforderung kann ich mich leider nicht halten.

Irgendwann kann ich dann abbiegen, finde auch wieder einen Radweg und kaum radle ich gemütlich eine weitere der vielen Wellen Vancouvers hinauf, entdecke ich unweit vor mir einen knallgelben Liegeradler, den ich natürlich unbedingt einholen muss.

Kein so leichtes Unterfangen, nach 155 Kilometern und einem irren Wahnsinnsschnitt hier noch am Berg einen leichtfüßigen, unbeladenen Kollegen einzuholen. Zum Glück sehe ich, wie er eine sitzradfahrende Begleitung dabei hat, die wohl das Tempo drückt.

Wenig später habe ich aufgeschlossen und ich - was gar nicht meine Art ist - spreche ihn überschwänglich mit "Hey, endlich mal ein Liegerad!" an, freue mich, wir halten beide, schütteln uns die Hände und grinsen uns an.

Selbstgebaut, wie er mir versichert. Aber warum nur immer diese komischen Aerolenker?

Ein kleines, nicht sehr spektakuläres, dafür umso herzlicheres Gespräch entspinnt sich - die Standardfragen nach dem Woher? Wohin? und dem Welche Fahrradmarke? werden beantwortet, bis die beiden heftig winkend und fröhlich wackelnd abbiegen.

Und ich merke, dass ich zu weit gefahren bin, als ich am Ufer der English Bay stehe, auf die Skyline blicke und staune, wie schön diese Stadt doch aussieht: Wenig protzig, bescheiden, aber classy kommt sie daher.

Ich beschließe, hierher zurück zu finden, drehe um und rolle mit buchstäblich letzter Kraft zum Maple House, meinem B&B für diese Nacht.

Nett, wie es sich da so ausbreitet, das Vancouver, oder?

Es ist ein klassisches Holzhaus, Nordamerika eben. Es lädt ein, die Nachbarschaft ist ruhig, alles erinnert mich an die Idylle aus der "Bill Cosby Show" und so klingle ich. Pat, eine hübsche Mexikanerin, öffnet mir, wirft mir ein ebenso scheinendes, perfektes Lächeln entgegen, wie die Sonne da über mir auf uns herab und bittet mich rein.

Zunächst aber ruft sie "Oh, you´re the cyclist!" und freut sich darüber, dass sie einen Fahrradfahrer beherbergen kann. Schön, wenn man mal auf eine solche Weise begrüßt wird - in Deutschland ernte ich beim Einchecken nicht selten böse Blicke, wenn ich, nachdem alles klar ist, mein Fahrrad reinhole. Aber auch das deutsche Gastgewerbe wird noch dahinter kommen, die Radler besser zu behandeln ... aber nun, nun bin ich erst einmal hier.

Pat führt mich, nachdem ich mein Liegerad ins Büro stellen durfte, nach ganz oben unter das Dach und zeigt mir mein Zimmer. Es ist sehr klein, aber gemütlich, hat ein eigenes Badezimmer und eine nette Aussicht - was will man mehr?

Das Maple House B&B - ich habe es hier sehr genossen.

So dusche ich erst einmal und wechsle meine Speedpilotenkombi mit den Zivilklamotten. Pat fragt unten, wann ich frühstücken möchte, doch ich muss leider ablehnen - morgen werde ich so früh aufbrechen, dass es für mich wohl kein Frühstück geben wird.

Leider erlaubt mein Routenzeitplan es nicht, einen ganzen Tag in Vancouver zu verbringen und so werde ich morgen gegen 6 Uhr schon unterwegs sein, um die Fähre hinüber nach Vancouver Island zu bekommen.

Schade, macht Pat. Und Schade denke ich auch.

Hilly Vancouver - und eine Fahrradhochburg obendrein. Die spinnen, die Vancouvianer!

Mein Magen knurrt noch immer - es stecken nicht üble 160 Kilometer in den Knochen, die mich ausgelaugt haben wie selten. Das merke ich jetzt und mache mich auf den Weg in die Innenstadt. Die Maple Street führt direkt hinunter zu einer der Brücken über den River, also folge ich ihr eine Weile bergab und genehmige mir erst einmal einen großen Latte Macchiato.

Bei der einen oder anderen SMS, die ich meinen Eltern und Freunden sende, schlendere ich gemütlich über die Burrard Street Bridge und genieße die Aussicht auf die Skyline und den Hafen.

Auf der Burrard Street Bridge. Mal was anderes - eine Skyline aus Wohnhäusern.

Ich sehe Unmengen von Radfahrern. Rennradler, Trekker und Mountainbiker fahren hier diszipliniert aber in Massen. Die Autos scheinen das zu kennen, passen auf, fahren umsichtig und es wird nicht ein einziges Mal gehupt, auch wenn der eine oder andere Pedalist sich nicht gerade unriskant bewegt.

Das hätte ich gar nicht gedacht, dass es hier eine so fahrradfreundliche Umgebung gibt - schon allein deswegen, da Vancouver extrem bergig und damit anstrengend zu fahren ist. Aber ich habe mich da wohl getäuscht, denke ich gedankenversunken als ich mich dem anderen Ufer nähere, und bin plötzlich an Kopenhagen erinnert, der Fahrradhauptstadt Europas.

Segeln hat ja irgendwie auch was ...

Unten im Hafen dümpeln die kleinen und großen Yachten, es weht ein strenger Wind und erst jetzt merke ich, wie stark er mich dann doch heute angetrieben haben muss. Wenn ich aus dem Windschatten einer der Häuser trete, trifft mich auf breiter Front ein trockener, kühler Windstoß und ich kann mir vorstellen, dass ich eine halbe Stunde, wenn nicht mehr, heute schneller war, weil der Wettergott von hinten geschoben hat. Perfekt.

Ich setze mich in eines der vielen Cafés und Restaurants der Waterfront, bestelle ein großes Bier und Fish´n´Chips - das eine zur Belohnung, das andere für die Proteine. Obwohl ich bezweifle, ob fettig ausgebackenes Filet mir jetzt so behilflich sein wird, meine Glykogenspeicher zu füllen, aber ... wenigstens schmeckt es. Und das ist die Haupsache.

Na, da freut sich der Körper aber: Fettiges aus der Fritteuse. Aber ... lecker!

Nachdem ich satt und etwas angetüdelt bin, nutze ich den herrlichen Tag noch, mir weiter die Hafengegend und einen Teil von West-Vancouver anzuschauen.

Unten auf der anderen Seite ist ein kleiner Jahrmarkt, Massen an Menschen tummeln sich da, Spielbuden, Fressbuden und Kaufbuden buhlen um die Dollars der Vergnügungswilligen und der Wind trägt Fetzen fetziger Musik zu mir herüber. Nein, Trubel ist jetzt nichts für mich, beschließe ich, und schlendere eine Weile auf der anderen Seite herum.

Jahrmarkt und Budenzauber muss jetzt nicht sein - aber atmosphärisch ist es allemal.

Vancouver kommt mir tatsächlich so ambivalent - aber auf eine positive Weise - vor. Eine riesige, nordamerikanische Stadt ist dies hier allemal. Aber es weht ein Charme durch die Straßen, den ich so noch in keiner Stadt dieses Kontinents erlebt habe.

So luftig (was tatsächlich aber auch an der Luft liegen kann, die ich wirklich als sehr frisch und befreiend empfinde), so positiv, so sportlich und so lasch. Die Menschen scheinen zufrieden zu sein, kaum einer, dem ich begegne, der in New-York-City-Manier seinen Kopf nach unten gerichtet durch die Gassen stürmt. Die Leute lachen, reden und scheinen es alle heute mal langsam angehen zu wollen.

Das asiatische Flair ist hier am Hafen zwar nicht mehr zu spüren, dafür aber dieses besondere Gefühl, das diese Stadt vermittelt - Größe, ohne groß zu sein. Wichtigkeit, ohne hektisch zu sein. Ich mag es hier. Der Flow gefällt mir sehr.

Ich mag es hier. New York ohne Hektik, dafür mit Freundlichkeit. Wusste gar nicht, dass so etwas geht?!?

Auf der Westseite haben sie Wohn-Hochhäuser bis ans Hafenbecken gebaut. Auch so etwas, was ich toll finde und so aus keiner anderen Stadt kenne: Sonst sind hier die Glaspaläste der Banken und Aktienschieber.

Hier aber grüßen begrünte Balkons und Terrassen, hier leben echte Menschen, echte Familien mit echten Namen und echten Klingelschildern. Teuer zwar, das sieht man, nicht zuletzt auch der immensen Porsche-Dichte hier in diesem Teil, aber okay, denke ich mir, wenigstens lebt dieser Teil Vancouvers - und ich erinnere mich an Süd-Manhatten, den Banken District, wenn dort nach Börsenschluss die Tausenden Anzugträger abziehen und ein ganzer Stadtteil leer zurück bleibt. Wie ausgestorben.

Anders hier - hier wird es nie leer, denke ich, und schlendere grinsend weiter.

Hier im zehnten Stock eine Wohnung haben ... perfekt!

So besuche ich noch einen Fahrradladen, der mich auch wieder überrascht: Ich trage mich schon länger mit dem Gedanken, mir einen neuen Helm zu kaufen. Also gehe ich hinein und schaue mich um.

Ein netter junger Mann kommt zu mir, fragt, ob er helfen kann und da ich den Whisper von Catlike toll finde, frage ich ihn, ob sie den hier zufällig zur Ansicht hätten. Nein, entschuldigt er sich, sie würden nur Bell-Helme verkaufen, nimmt mich aber mit zur Kasse, hebt den Telefonhörer ab und ruft ... bei einem anderen Laden an.
E telefoniert tatsächlich mit der Konkurrenz!

"Hi, hier ist Tony", sagt er, "Ich habe hier einen Kunden, der Catlike kaufen will. Kann ich ihn zu Euch schicken?"
Ich staune.
Die beiden klären noch etwas, dann legt er auf und erklärt mir den Weg zum Konkurrenzladen, wo sie Catlike hätten.

Ich bin zu platt, um mich zu bedanken. Unvorstellbar in Deutschland.

Nun aber schnell zurück - in East Vancouver warten zig Sushi-Bars auf meinen Besuch.

Zwar lasse ich das mit dem anderen Laden - ich bin zu müde und muss noch für die morgige Fährfahrt alles organisieren, also trete ich den Rückweg an. Wieder die Brücke entlang schlendere ich nach Hause in die Maple Street.

Mittlerweile sind die Wolken dichter herauf gezogen, der Wind hat sich noch mehr verstärkt und, wenn ich mich frage, es sieht hier alles verdächtig nach Regen aus. So beeile ich mich, mache noch einen Schlenker durch den Vanier Park, wo einige Dutzend Kiter ihre Drachen in stürmische Böen hinaus schicken, komme am MacMillan-Space-Center vorbei und verleibe mir noch eine große Portion Sushi ein, ehe ich zuhause das Maple House aufschließe.

Gold für den Speedmaschinisten. Heute war es extrem schnell.

Die Sonne geht prunkvoll unter, als ich unten am Rechner im Internet sitze und eine Taxigesellschaft recherchiere, denn ich habe beschlossen, morgen früh nicht mit dem Fahrrad durch Vancouver zu radeln, um zur Fähre zu kommen, sondern mich fahren zu lassen.

So werde ich nicht um 5 aufstehen müssen, sondern erst um 6. Wir haben ja immerhin Urlaub, nicht wahr?

Ich genieße mein weiches, warmes Bett, lausche den Möwen, die da nicht weit von meinem Dachgeschossfenster ihre letzten Runden des Tages drehen, erinnere mich daran, wie ich heute in einem unvergleichlichen Rausch der Geschwindigkeit aus den Rockies geschossen kam, den wahnsinnigen Schlenker nach Süden bis an die amerikanische Grenze gefolgt bin um dann in einem Husarenritt nach Norden in Vancouver einzureiten. Wahninn!

Gefahren: 157,70 km in 5:27 h und wahnsinnigen, ebenerdigen 28,92 km/h Schnitt

Es hupt ein Schiff draußen.
Ich grunze drinnen, ziehe die Decke über meine Schulter, drehe mich um und schlafe ein. Zufrieden, aber auch etwas traurig, dass ich nicht noch ein bisschen länger hier in dieser tollen, tollen Stadt bleiben kann.

Ich komme wieder, sagt der Speedmachinator im Traum. Und das war keine Drohung. Ich muss noch einmal grinsen, als ich mich an eine Konversation mit Patricia erinnere, die wir vor 20 Minuten hatten. Sie legt das Telefon auf, bestätigt mir die Buchung meines Taxis für morgen und fragt dabei interessiert, wie ich das schaffe, 1.300 Kilometer und dazu noch durch die Rockies mit einem Fahrrad zu fahren.
Wie schaffe ich das nur?
Ich dürrer Hering?

"I´m running on Bananas", sage ich. Und das ist noch nicht einmal so weit hergeholt.